100 Jahre Leica I

Leica bei Ullstein

Interview mit Karin Rehn-Kaufmann, Art Director | Generalbevollmächtigte Leica Galerien International

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Frau Rehn-Kaufmann, 100 Jahre Leica I – eine entscheidende Innovation, ein großes Datum, ein würdiger Anlass. Er bedeutet nicht nur einhundert Jahre Unternehmensgeschichte, sondern auch einhundert Jahre Geschichte der Fotografie. Von denen selbstverständlich auch Ullstein nicht unberührt blieb. Die aktuelle Ausstellung im Ernst Leitz Museum in Wetzlar gibt einen umfassenden Überblick, sie versammelt rund einhundert Werke wichtiger Fotojournalistinnen und Fotojournalisten wie Henri Cartier-Bresson, Elliott Erwitt, Robert Capa, Martine Franck, Marc Riboud, Paul Wolff, René Burri, Alexander Rodtschenko oder Horst H. Baumann aus Leica-Beständen. Wie war Ihre Vorgehensweise, welche Konsequenzen hat die Arbeit mit dem Leica-Archiv?

In unserer Ausstellung entsteht mithilfe der Exponate von rund fünfzig verschiedenen Fotografinnen und Fotografen ein Spektrum von mehr als einhundert Jahren Fotografiegeschichte – von Alexander Rodtschenko bis Julia Beyer. Dafür haben wir aus mehr als 2.000 Aufnahmen des Leica-Archivs eine Auswahl getroffen und sie den einzelnen Werkgruppen zugeordnet, vielfach neu digitalisiert und – nicht zuletzt dank zweier neuer Mitarbeiter – für die Werkschau vorbereitet. Anlass und Ausgangspunkt war die Präsentation der Leica I auf der Leipziger Frühjahrsmesse von 1925. Von hier entwickelte sich die Stückzahl der seriell gefertigten Kamera in großen Schritten – bis 1930 war die Seriennummer 60.000 erreicht. Seither entstand parallel ein „lebendes Leica-Archiv“, das auch heute kontinuierliche Pflege erfährt und einen adäquaten Umgang mit den Originalen. Die Sammlung geht zurück auf „Barter-Deals“, viele Schenkungen, die Leica Hall of Fame Gewinner geben ca. 20 ikonische Bilder dem Archiv und auch die Gewinner und Finalisten des jährlich ausgelobten Leica Oskar Barnack Awards hinterlassen ihre Werke, und tragen so zum Gedächtnis des Unternehmens bei. Andere signierte Prints von beispielsweise Barbara Klemm, Steve McCurry und Thomas Hoepker gelangen über Schenkungen zu Leica.

Zu den fünf Werkgruppen der Ausstellung gehört ein unverzichtbares Thema des Fotojournalismus: die Straßenfotografie. Welche Protagonisten sind hier besonders hervorzuheben?

Mit der Leica bleibt das Genre der Straßenfotografie sehr eng verknüpft. Durch die Leica 1 ist dieses Genre, ebenso wie die Reportage und Street Photography überhaupt erst möglich geworden. Bildautoren wie Henri Cartier-Bresson haben diese Entwicklungen geprägt und gelebt, auch vor dem Hintergrund einer vorausgegangenen Ausbildung als Künstler und Maler. Joel Meyerowitz lässt diese Möglichkeiten in großformatigen Szenerien aufleben. Und er gehört zu den Fotografen, die die emotionale Bindung zu „seiner“ Leica“ benennen: „Ich habe durch die Leica gelernt zu sehen.“ – Sätze, die Leica als Marke hervorheben und stärken.

Ähnlich wie die Bindung eines Musikers, einer Musikerin an das Instrument – so, wie die junge Violinistin auf der Fotografie in Ihrem Salzburger Büro, die ihre Geige glückselig im Arm hält.

Ja! Diese Fotografie spiegelt eines der gelungensten Musikförderprogramme für Kinder und Jugendliche in Venezuela: „El Sistema“, gegründet 1975, stellte bzw. organisierte Instrumente, Lehrer und den kompletten Musikunterricht. Das bisher weltweit größte Musikprojekt gegen Gewalt und Drogen. Chöre und Orchester von El Sistema waren 2011 zu den Salzburger Festspielen eingeladen. Wichtige Fotograf/innen aus Venezuela fotografierten dieses Projekt, was dann in Salzburg groß präsentiert wurde. Daher stammt meine Violinistin in meinem Büro. Die Fotografie ist also in vielerlei Hinsicht von Symbolkraft.

Eine der sprechendsten Aufnahmen zur Leica-Kamera ist Teil der fotografischen Sammlung Ullstein bei ullstein bild. Sie zeigt die auf dem Autositz liegende Kamera des Fotojournalisten Wolfgang Weber (1902-1985) und deutet auf die Bilder seiner Afrikareisen von 1934/1936. Die Fotoserien wurden in der Berliner Illustrirten Zeitung publiziert – exklusiv bei Ullstein, wie viele andere entscheidende Fotoreportagen. Der originale Bildtext im Auszug lautet: „Was ich wochenlang in Zentral-Afrika immer neben mir liegen hatte: die Zigarettenschachtel, der Handscheinwerfer, die schussbereite Leica (nachts mit dem automatischen Blitzlicht und immer auf 5 m eingestellt). …“ Für eine andere Fotoserie bei Ullstein arbeitete Wolfgang Weber 1930 mit der im Buchinneren versteckten Leica – so gelingen ihm einmalige Porträt- und Gruppenaufnahmen von Glücksspielern im Casino Baden-Baden: eine aufschlussreiche Sammlung hochkonzentrierter, entrückter oder scharf beobachtender Menschen.

Eine Stärke und gleichzeitig ein Wettbewerbsvorteil der Leica werden hier deutlich: sie stand nicht nur für ein gelungenes Design, sondern garantierte auch Diskretion – das leise Geräusch des Auslösers ermöglichte dem Fotografen, sich unbemerkt zu bewegen. Für die Reportagefotografie von großem Interesse und streckenweise unverzichtbar.

Weitere Fotografien von Alfred Eisenstaedt (1898-1995) oder Friedrich Seidenstücker (1882-1966) bei ullstein bild entstanden Anfang der 1930er Jahre und zeigen demonstrativ die Arbeit fotografierender Amateure mit der Leica. Welchen Raum nehmen die Amateurfotografinnen und -fotografen in der Leica-Geschichte ein, werden auch sie in den Ausstellungen berücksichtigt?

Sie spielen eine große Rolle für die Entwicklung der Leica, waren immer ausschlaggebend für die Produktionen des Unternehmens. Daher wurden die Amateurfotografen stets umworben, immer wieder auch mit gesonderten Foto-Wettbewerben und Schulungsangeboten – die Konkurrenz am Fotomarkt war zu allen Zeiten groß. Und in verschiedenen Ausstellungsprojekten bei Leica finden sie natürlich auch ihren Platz.

Dieses Jahr steht für Ihre Ausstellungen und Veranstaltungen unter dem Zeichen des Leica-Jubiläums, in welchen Formaten und wo genau?

Die Ausstellung in der Leica Galerie Wetzlar zeigen wir bis zum 1. Juni 2025. Im Sommer werden auch eine Buchpublikation „100 Geschichten über Leica“ und ein Kinofilm des renommierten Regisseurs Reiner Holzemer erscheinen. Beide Produktionen widmen sich den Menschen hinter der Kamera, zu verschiedensten Zeiten und mit den unterschiedlichsten Ergebnissen ihrer Kreativität. Es geht immer auch um die Erfahrungen und Geschichten der Fotografen und Fotografinnen: sei es Steve McCurrys berühmte Aufnahme des „Afghanischen Mädchens“, das er auch Jahre später wieder ausfindig machte und mittels einer Stiftung unterstützte. Sei es Gabriele Micalizzi, dessen Blick durch den Sucher der Kamera in einer Kriegssituation sein Leben rettete. Neben vielen Städten weltweit werden wir auch am Leitz Park, dem Leica HQ in Wetzlar, drei Tag lang feiern. Diese weltweiten Events und Ausstellungen sind ein Dank an unsere Fotografen und an unsere Kunden. Für andere Orte weltweit werden verschiedene Formate geplant: in New York zeigen wir sowohl Indoor wie Outdoor-Ausstellungen, z.B. 100 Fotografien großer, teilweise unbekannter Meister/innen von gestern bis heute. In Mailand ist zum diesjährigen Salone Del Mobile eine interaktive Leica-Ausstellung zu sehen. Im ehrwürdigen General Post Office Building in Shanghai zeigen wir eine Ausstellung mit chinesischen Leica Fotografen von damals bis heute und im Oktober wird der Abschluss der Feierlichkeiten In Tokio stattfinden. 

Und die Anlässe zum Feiern werden Ihnen auch in Zukunft nicht ausgehen…

Ganz und gar nicht. Noch dieses Jahr würdigen wir „95 Jahre Leica Akademie“, d.h. die erste existierende Fotoschule in Deutschland, mit einer Outdoor-Ausstellung in Wetzlar. Und nächstes Jahr begehen wir „50 Jahre Leica Galerien“! Auch dieses Jubiläum wird 2026 weltweit in den Leica Galerien über verschiedene Ausstellungen sichtbar werden.

 

Vielen Dank, Frau Rehn-Kaufmann, für dieses Gespräch!


Fragen: Dr. Katrin Bomhoff, ullstein bild collection.

Erstveröffentlichung am 30. April 2025.

In der Galerie sehen Sie eine Auswahl der Originalfotografien aus der ullstein bild collection.

Das entsprechende Dossier finden Sie bei ullstein bild.

Kontakt

Dr. Katrin
Bomhoff
Senior Manager Asset & Exhibition
+49 30 2591 73164
(c) Richard Schabetsberger
Karin
Rehn-Kaufmann
Generalbevollmächtigte Leica Galerien International