Fritz Eschen bei ullstein bild

Interview mit Maximilian Westphal | MFG Baden-Württemberg

Interview mit Maximilian Westphal, Projektleiter Digitale Kultur – MFG Baden Württemberg, zu den Fotografien von Fritz Eschen bei ullstein bild

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Herr Westphal, im Rahmenprogramm der Ausstellung Meeting Liebermann – Fotoporträts aus der Sammlung Ullstein haben Sie in der Liebermann-Villa mit Dr. Katja Schumann, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, den dritten Vortragsabend bestritten. Er stand unter der Überschrift Liebermann, Porträts und Porträtfotografie und fand ein sehr aufmerksames und interessiertes Publikum.

Ihr Thema lag nahe: Fritz Eschen (1900-1964) als Porträtfotograf war nicht nur mit einem Ullstein-Exponat in der Ausstellung vertreten, sondern stand auch im Mittelpunkt Ihrer Forschungen aus dem Thomas Friedrich-Stipendium und der entsprechenden Buchpublikation von 2019. Sie trägt den Untertitel Porträts eines Bildjournalisten. Damit ist ein Nerv getroffen: Eschens Fotografien waren nach 1945 in einer Vielzahl westdeutscher Zeitungs- und Zeitschriftentitel vertreten und prägten auf diese Weise den Bildjournalismus mehrerer Jahre. So konnte er an seine ersten Erfolge Anfang der 1930er Jahre anknüpfen, unterbrochen durch die Repressalien während der NS-Zeit. Aus der frühen Zeit, vor allem jedoch aus der Nachkriegszeit stammen die Eschen-Fotografien bei Ullstein, die uns zurückführen auf die langjährige Zusammenarbeit mit dem Verlag. Hier erschien außerdem 1956 ein wichtiges Buch: Köpfe. 100 Porträt-Aufnahmen von Fritz Eschen mit Texten von Friedrich Luft.

Thematisch gesehen bietet der umfangreiche ullstein bild-Bestand zu Eschen eine enorme Bandbreite: Neben den Porträtfotografien finden sich Städtebilder, Landschaftsaufnahmen, Alltagsszenen, und immer wieder steht ein Ort deutlich im Mittelpunkt – Berlin. Ein weiterer Berührungspunkt Eschens zu Ullstein ist biografischer Natur: Fritz Eschen und der Regisseur und Verleger Heinz Ullstein wurden 1941 zur Zwangsarbeit eingezogen, waren zeitgleich bei der Reichsbahn am Lehrter Bahnhof in Berlin. Zwei Jahre später, nach ihrer Verhaftung, bemühten sich ihre Angehörigen auf beiden Seiten, die Männer vor der drohenden Deportation durch die NS-Schergen zu bewahren und protestierten vor der Sammelstelle in der Rosenstraße. Mit Erfolg.

Welche Eindrücke und Ergebnisse konnten Sie im Zuge Ihrer Eschen-Recherchen in der fotografischen Sammlung Ullstein gewinnen?

Über den Einstieg der Online-Datenbank wusste ich, dass mich eine große Zahl an Bildern erwarten würde, wobei mir viele Aufnahmen bereits im Archiv des Fotografen oder in Fotobüchern bekannt waren. Die Sammlung Ullstein erweist sich als wertvolle Quelle für Erkenntnisse über die Verwendung der Bilder im Pressewesen des 20. Jahrhunderts, da die Rückseiten der fotografischen Abzüge oftmals mit Stempeln und Notizen versehen sind. Eingehend untersuchte ich vor allem die Fotografien bis 1950, worunter ich unter anderem die Bildvorlagen für die bis dato bekannte früheste Bildveröffentlichung von Fritz Eschen aus dem Jahr 1930 fand: Die Serie „Tiere stehen Modell“ ist eine genrehafte Alltagsbeobachtung im Berliner Zoo und erschien in der Berliner Morgenpost, einer der auflagenstärksten Zeitungen der Weimarer Republik. Auf der Rückseite des Abzuges herrscht ein reges Treiben: der Stempel des Fotografen ist nur noch schwach zu erkennen, darüber platzierte ein Verlagsmitarbeiter mit schwungvoller Bleistiftnotiz das Erscheinungsdatum sowie die Bildunterschrift „Zeichen-Unterricht einer Schulklasse“. Im Weiteren kamen zahlreiche Archivstempel und -nummern hinzu, welche die Reise des Abzuges durch die bewegte Geschichte des Ullstein Verlages bezeugen. Auf anderen Bildern fanden sich Spuren von Retusche-Arbeiten oder Hinweise auf Bildagenturen, mit denen Eschen zusammenarbeitete.

Wo sehen Sie unverkennbare und entscheidende Stärken im fotografischen Werk von Fritz Eschen?

Die mit Beginn der 1930er Jahre durch Bildagenturen und -redaktionen verwerteten Bilder Eschens lassen sich einer Presse-Fotografie zuordnen, für welche Aktualität selten eine Voraussetzung war, sondern eher die Bildästhetik und vielfältige Verwertbarkeit im Vordergrund standen. Bei Eschen sehe ich die miteinander verschwimmenden Sphären von freier künstlerischer und angewandter Arbeit und charakterisiere sein Werk mit dem Begriff einer feuilletonistischen Illustrationsfotografie, die eine über ihr vielfältiges Potential der Illustration hinausweisende Qualität aufweist. Heinz Hajek-Halke merkte an, dass ein Bildfeuilleton Zeit verlangt um sich mit Muße mit den Bildern auseinandersetzen zu können. Die qualitätsvoll komponierten Porträts und Landschaftsaufnahmen von Fritz Eschen laden zur Vertiefung ein. Für heutige Betrachterinnen und Betrachter sind insbesondere die Fotografien aus dem Trümmer-Berlin von unschätzbarem Wert – als bildgewordenes Memorandum und einer der zahlreichen Reflektionsräume, welche sich in dem umfassenden Werk öffnen.

Wie lassen sich seine Porträtfotografien des Künstlers Max Liebermann einordnen, welche Bedeutung hatten sie für Eschen?

Max Liebermann empfing den jungen Fotografen 1930/31 in seinem Atelier im Haus am Pariser Platz. Auf dem Foto sitzt der Maler am linken Bildrand mit intensivem Blick auf die Staffelei gegenüber von ihm. Die Palette in der Hand ist sauber, fast unbenutzt, ganz anders als im wohl fertiggestellten Selbstporträt gegenüber. Im Hintergrund des mit klaren Achsen komponierten Bildes sehen wir noch einmal Liebermann, diesmal im Spiegel – auch diese Profilansicht scharf abgebildet. Eschen selbst sah im Bild die „Inkarnation der Übereinstimmung von Mensch, Werk und Umgebung“ und eine „künstlerisch hochgespannte Atmosphäre“ – diese Eindrücke können wir bei heutiger Betrachtung der durchkomponierten und keinesfalls spontan entstandenen Fotografie sicherlich nachempfinden. Das Bild hatte für Fritz Eschen eine besondere Bedeutung, wenn er sich 1947 in der Fachzeitschrift Foto-Spiegel äußerte: „[Ich] liebe dieses Foto, weil es die Erinnerung an Einmaliges, Unwiederbringliches heraufbeschwört, und mein künstlerisches Empfinden, soweit ich es als Fotograf für meine Arbeit in Anspruch nehmen darf, nach so vielen Jahren noch fruchtbringend inspiriert.“

Porträts von großen Persönlichkeiten wie Liebermann sind in den frühen Jahren von Eschens Schaffen noch selten. Üblicher sind hier noch Typenporträts und Charakterköpfe, die sich in Nahansicht auf die Physiognomie des Gesichtes konzentrieren. Dies ist auch für eine der Aufnahmen aus der Serie mit Max Liebermann bezeichnend. Zwei Seiten von Kontaktbögen im Archiv des Fotografen geben uns weiteren Aufschluss zur Sitzung. Die erhaltenen Aufnahmen entstanden sowohl am Pariser Platz, als auch in der Villa am Wannsee. Wir können also mehrere Begegnungen feststellen, was eine Besonderheit ist. Ob sich eine Verbundenheit zwischen den beiden einstellte, oder über welche Themen sie sprachen, bleibt ein Rätsel. Die erschütternde Erfahrung der NS-Herrschaft als verbindendes Element für Maler und Fotograf trug sicher zur Sonderstellung des Porträts für Eschen nach 1945 bei.

Spätere Porträtaufnahmen von Fritz Eschen entstanden auch in spontaneren Situationen und in einem offensichtlichen Dialog zwischen Fotograf und Gegenüber - sie vermitteln aber nicht minder bleibende Eindrücke von den abgebildeten Persönlichkeiten, wie es ihm 1930 mit Max Liebermann gelang.

Die Gegenüberstellung der vielfältigen Porträts in der Ausstellung Meeting Liebermann in der Liebermann-Villa nahm ich als sehr wertvoll wahr, macht sich doch hier deutlich, wie stark fotografische Auffassungen den Geist ihrer Zeit oder auch technischer Möglichkeiten tragen. Hier sah ich die Aufnahmen Fritz Eschens als formales Bindeglied zwischen eher klassischen Studioporträts eines Nicola Perscheid oder den modernen Momentaufnahmen eines Felix H. Man.

In welcher fotografischen Tradition sehen Sie Fritz Eschen? Zu seiner Bibliothek gehörten die Publikationen von Albert Renger-Patzsch und Andreas Feininger. Lassen sich weitere, auch direkte Vorbilder und Einflüsse benennen?

Neben dem tagesaktuellen Pressebild war Ende der 1920er Jahre für viele Fotografen das Streben nach dem sogenannten „schönen Lichtbild“ von oberster Priorität. Diese vornehmlich optimistische Weltsicht wurde popularisiert durch Veröffentlichungen wie Albert Renger-Patzschs 1928 erschienenes Fotobuch Die Welt ist schön. Dieser Zeitgeist ist in Eschens frühen Fotografien wiederzuerkennen, was sie für den kommerziellen Bildmarkt attraktiv machte. Ihre oft nicht zeit- oder ortsspezifischen Motive boten vielfältige Optionen zur Veröffentlichung. Durchaus lassen sich beim Blick auf Eschens Bilder aus dem Berliner Alltag Parallelen zum Werk von Friedrich Seidenstücker ziehen, wobei eine direkte Bekanntschaft der beiden Fotografen nicht belegt ist. Von den als „Jägern mit der Kamera“ charakterisierten Zeitgenossen wie Felix H. Man oder Erich Salomon grenzt Eschen sich dadurch ab, dass die Bildkomposition und eine gewisse Zeitlosigkeit seinen Motiven zu eigen ist – kaum ein Bild macht dies so deutlich, wie die Atelieraufnahme von Max Liebermann.

Sie haben außerdem auf die engen Zusammenhänge mit Fotoagenturen der Weimarer Republik wie Dephot und Neofot-Fotag hingewiesen, beide sind auch mit Werken bei ullstein bild vertreten. Welche Bedeutung hatte diese Schaffenszeit für Eschen?

Fritz Eschen kam aus dem Amateurbereich in das Fotogeschäft und musste mit Verlagen und Agenturen zusammenarbeiten, um im Markt Fuß zu fassen. Hier fand er nicht nur die Grundlage für das Geschäft mit den Bildern, sondern konnte im Austausch mit Kollegen seine praktischen Kenntnisse weiterentwickeln: Laut selbstverfasstem Lebenslauf erhielt er bei Dephot und Neofot eine „mehrjährige Fachausbildung“ bevor er als selbstständiger Pressefotograf und Journalist u.a. für die Agenturen Mauritius und Associated Press tätig war. Tatsächlich finden sich im Ullstein Archiv zahlreiche Abzüge mit den Stempeln dieser Agenturen. Sowohl der handschriftlich auf einem Abzug notierte Hinweis „Namensnennung: Neofot“ oder der gestrichene Name des Fotografen auf einem Abzug vom Linden-Verlag sollten während den Jahren der NS-Herrschaft den jüdischen Fotografen Eschen schützen und ihm dennoch ein zumindest grundlegendes Einkommen verschaffen. Dabei sind die konkreten Geschäftsverhältnisse im rasant wachsenden Bildmarkt der Weimarer Republik kaum dokumentiert. Auch nach Abschluss meiner Recherchen bleiben Erkenntnisse zu den Akteuren in Eschens beruflichem Netzwerk weiterhin erstrebenswert. Ausstellungs- und Forschungsprojekte wie zuletzt über Umbo (Otto Umbehr), der auch für die Dephot tätig war, leisten hier wertvolle Beiträge.

Herr Westphal, ihr jetziges Aufgabenfeld umfasst die digitale Kultur in den Museen, zukunftsweisend und elementar für die Ausstellungsgestaltung, Sie arbeiten als Projektleiter der Medien- und Filmgesellschaft in Stuttgart. Welche Entwicklungsmöglichkeiten, welches Potential sehen Sie hierbei für die deutsche Museenlandschaft?

Eines von vielen Themen- und Handlungsfeldern ist die publikumsorientierte Entwicklung musealer Angebote vor Ort wie online. Innovative Vermittlungsformate können helfen, neue Zielgruppen zu erschließen und ein medienaffines Publikum zu erreichen. Sei es durch die Nutzung digitaler Kanäle bei der Ansprache oder die Nutzung digitaler Tools für inhaltliche Auseinandersetzung, wenn wir an individualisierbare Museumsguides denken. Weiterhin lässt die rasende Entwicklung von künstlicher Intelligenz auch den Kulturbetrieb nicht unberührt: von der Sammlungserschließung über Produktionsbedingungen bis hin zur Kommunikationsarbeit der Häuser ergeben sich neue Möglichkeiten. Im Kompetenzfeld Digitale Kultur der MFG Baden-Württemberg unterstützen wir im Auftrag des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg staatliche und nichtstaatliche Museen, Theater, Archive und Kunsthäuser im digitalen Wandel. Als Projektleiter steht für mich nach der inhaltlichen Begleitung des Investitionsprogramms Zukunftsstark mit vielfältigen Projektergebnissen im Februar 2024 die Tagung Gemeinsam Digital für kleinere und mittlere Museen auf dem Programm.

Vielen Dank, Herr Westphal, für dieses Gespräch!

Das Interview führte Dr. Katrin Bomhoff, ullstein bild collection.

Erstveröffentlichung des Interviews am 15. November 2023.

In der Galerie sehen Sie eine Bildauswahl zu unserem Thema, das Dossier mit über 2.000 Aufnahmen von Fritz Eschen finden Sie bei ullstein bild.

 

 

 

Kontakt

Dr. Katrin
Bomhoff
Senior Manager Asset & Exhibition
+49 30 2591 73164
Foto (c): Monika Höfler
Maximilian
Westphal
Projektleiter Digitale Kultur | MFG Medien- und Filmgesellschaft Baden Württemberg mbH