Im Licht der Fotografie

Interview mit Maria Leitmeyer, Museumsleiterin Museum Purrmann-Haus in Speyer

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Frau Leitmeyer, in der Ausstellung Purrmanns Welt im Licht der Fotografie: Matisse, Liebermann, Rilke & Co. kommen Gemälde und Zeichnungen zusammen mit fotografischen Werken der Sammlung Ullstein – ein vielsagendes Treffen unterschiedlicher Kunstgattungen. Gleichzeitig ein Beieinander verschiedener Künstler, der Titel gibt den Hinweis auf Matisse, Liebermann, Rilke & Co. Wir stehen inmitten einer mehrfach grenzüberschreitenden Ausstellung. Wie befördert sie neue Einsichten oder Ergebnisse, wo gehen die in der Ausstellung gezeigten Werke und Künstler eine Verbindung ein, wo entstehen Spannungen?

Die ausdrucksstarken Fotografien der Sonderausstellung und die farbintensiven Gemälde des Künstlerpaares Hans Purrmann und Mathilde Vollmoeller-Purrmann der Ständigen Sammlung des Museums stehen in einem spannenden Dialog. Während die Künstlerinnen und Künstler um 1900 in den europäischen Metropolen wie Paris und Berlin nach der Erneuerung ihrer Formensprache strebten, erlebte der Bildjournalismus seine erste Blütezeit. Die Erfindung der Fotografie hatte die Malerei im Laufe des 19. Jahrhunderts von ihrer jahrhundertelangen Aufgabe befreit, die Realität naturgetreu abzubilden. Damit war der Weg für die Moderne geebnet. Im Museum Purrmann-Haus ist dies der verbindende Leitgedanke zwischen den Werken des Künstlerpaares aus dem engen Umkreis von Henri Matisse und den rund 100 Fotografien der Sonderausstellung. Wie eng die Verbindung zwischen Malerei und Fotografie sein kann, wird besonders dann deutlich, wenn in Öl gemalte Porträtbilder den Fotografien derselben Person gegenüberstehen. Nicht zuletzt waren es häufig Malerinnen und Maler, die sich dem neuen Medium widmeten und ihren Weg als Fotografinnen und Fotografen fortsetzen, wie beispielsweise Wanda von Debschnitz-Kunowski oder Karl Schenker.

Hans Purrmann und Mathilde Vollmoeller-Purrmann waren fest verankert in der europäischen Avantgarde der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Erstmals wirft die Ausstellung ein Schlaglicht auf das vielfältige künstlerische, familiäre und soziale Netzwerk des Malerpaares. Die Fotografien erzählen faszinierende Geschichten aus dem Leben und Wirken führender Persönlichkeiten der Moderne. Zahlreiche Briefzitate aus der umfangreichen Korrespondenz des Künstlerpaares dokumentieren deren Verbindungen zu Hans und Mathilde Purrmann und berichten vom gesellschaftlichen Spannungsfeld in den Zeiten einzigartiger historischer Umbrüche. Viele dieser Protagonistinnen und Protagonisten aus der Welt der Bildenden Kunst, der Literatur, des Theaters und des Films, - wie beispielsweise Henri Matisse, Max Liebermann, Rainer Maria Rilke, Leo von König, Lovis Corinth, Karl Vollmoeller, Hermann Hesse, Josephine Baker, Erich Kästner oder Tilla Durieux, - zählten zu den beliebten Motiven der führenden Pressefotografinnen und Fotografen ihrer Zeit.

Das Ullstein-Titelbild zur Ausstellung entstand ca. 1910 und geht zurück auf die Berliner Illustrations-Gesellschaft. Mehrere hundert Aufnahmen dieser frühen deutschen Pressefotoagentur sind Teil der fotografischen Sammlung Ullstein. Sie lassen schließen auf eine intensive Zusammenarbeit des Ullstein-Verlags, seiner Zeitschriften- und Zeitungsredaktionen mit den zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr erfolgreichen Fotografen. Die Aufnahme zeigt eine – unbekannte – Fotografin über den Dächern von Berlin, um sie herum erkennbar sind die Marienkirche, das Rote Rathaus, der Berliner Dom. Das Bildmotiv symbolisiert den Aufbruch und Wagemut der Bildschaffenden und die Möglichkeiten eines neuen Mediums.

Das Plakatmotiv der Ausstellung steht stellvertretend für den Geist einer internationalen, interdisziplinären, toleranten und visionären Avantgarde der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert. In einer Zeit, in der Frauen an den Universitäten und offiziellen Akademien noch nicht zugelassen waren, hat sich diese junge Frau entschieden, als Fotografin zu arbeiten. Auf der Suche nach neuen Perspektiven in der Sicht auf die Welt bewies diese Pionierin des Fotojournalismus über den Dächern von Berlin viel Mut. Sie kletterte für ihre Arbeit auf den Ausleger eines Krans, der 1910 zum Bau des Alten Stadthauses am Molkenmarkt verwendet wurde, um die Stadt aus der Vogelperspektive zu fotografieren. 

Die Einführung des Rollfilms und später der Kleinbildkamera Anfang des 20. Jahrhunderts eröffnete neue Möglichkeiten, die Welt in all ihren Facetten festzuhalten. Zunächst dienten die veröffentlichten Fotos vor allem der Illustration von Zeitungstexten. Bald entwickelten sie autonome Blickwinkel und Positionen. Durch das innovative Druckverfahren der Autotypie für Fotografien und das Rotationsdruckverfahren waren die Grundsteine gelegt für eine qualitative und quantitative Nutzung der Fotografie. Die Erfindung der Fotografie stellte der schriftlichen Berichterstattung ein weiteres starkes Medium an die Seite. Ikonische Momentaufnahmen früher Fotojournalistinnen und -journalisten schrieben Geschichte und brannten sich in das kollektive Bewusstsein der Menschen ein. Mit Mut, Innovationsfreude und Kreativität beschritten die Fotografinnen und Fotografen einen Weg, der kontinuierlich weiterführte zur immensen Bilderflut der Gegenwart, die über Internet und soziale Medien weltweit unseren Alltag prägt.

In der Ausstellung ist eine Reihe namhafter Fotografinnen und Fotografen aus der Sammlung Ullstein vertreten: Zander & Labisch, Atelier Binder, Atelier Balassa, Becker & Maass, Waldemar Titzenthaler, Nini & Carry Hess, Genia Levy, Wanda von Debschnitz-Kunowski, Elli Marcus, Sasha Stone, Madame d’Ora (Dora Kallmus), Karl Schenker, Jaro von Tucholka, Fritz Eschen. Die gezeigten Fotografien stehen hier in direktem Zusammenhang mit entscheidenden Künstlerpersönlichkeiten ihrer Zeit. Wo sind diese Zusammenhänge besonders schlüssig, besonders eng oder einfach nur bemerkenswert?

Auch diese Protagonistinnen und Protagnisten der ersten Blütezeit des Fotojournalismus gehörten zu dem weitverzweigten Netzwerk der Avantgarde der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Fotografin Genia Levy beispielsweise war die Frau des Malers Rudolf Levy, einem lebenslangen, engen Freund und Künstlerkollegen von Hans Purrmann. In der Ausstellung ist eine ihrer Fotografien zu sehen, die Max Slevogt bei der Arbeit an seinem Golgotha-Fresko Ludwigshafener Friedenskirche zeigt. Das renommierte Atelier Binder am Berliner Kurfürstendamm war besonders berühmt für seine repräsentativen Porträtaufnahmen. Dort wurde nicht nur Hans Purrmann sondern auch seine Tochter Christine, eine bedeutende Pianistin ihrer Zeit, fotografiert. Die erste Agentur für Pressefotografien war Zander und Labisch, die in der Ausstellung mit einer Aufnahme vom Ball der Berliner Secession im Jahre 1926 vertreten ist, auf der Charlotte Behrend-Corinth und Purrmanns Künstlerkollege Eugen Spiro zu sehen sind. 

Fotografie ist gefrorene Zeit. Sie hält Ereignisse, Momente und Personen fest. Doch ihre Aussagekraft und Eindringlichkeit ihrer Botschaften erhalten sie durch klassische Elemente der Kunst: durch die Wahl des Motivs und des Bildausschnitts, die Komposition, durch Perspektive und Licht und Schatten. All dies verdeutlicht die Fotografie von Jaro von Tucholka, die die Bildhauerin Renée Sintenis als Doppelporträt mit ihrem Selbstbildnis in Bronze zeigt. Bildende Kunst und Fotografie kommen so zu einem stimmigen Einklang.

Hans Purrmann lebte im Winter 1904/1905 für einige Monate und 1916 bis 1935 mit seiner Familie in Berlin und pflegte hier als Mitglied der Berliner Secession Kontakte u.a. zu Max Liebermann, Max Slevogt, Paul Cassirer. Auch seine Aufenthalte in München, Paris, Florenz, Rom und im Tessin sind eng verknüpft mit unterschiedlichen Schaffenszeiten und künstlerischen Einflüssen, die die jeweiligen Fotografien der Ausstellung widerspiegeln.

Die Exponate der Ausstellung zeichnen auch die Lebenswege des Künstlerpaares Hans Purrmann und Mathilde Vollmoeller-Purrmann nach. Neben den Fotografien aus der Sammlung Ullstein dokumentieren private Fotografien in den Nachlässen des Künstlerpaares aus dem Hans Purrmann Archiv in München und dem Museum Purrmann-Haus in Speyer zahlreiche Momentaufnahmen ihres bewegten, erfüllten Lebens, das geprägt war von langjährigen Auslandsaufenthalten und Emigration. Immer wieder ist ihnen ein Neuanfang gelungen. Nachdem sie rund 10 Jahre in Paris gelebt und im engsten Kreis um Henri Matisse große künstlerische Erfolge gefeierte hatten, mussten sie mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs nach Deutschland zurückkehren. Fortan lebte die Familie mit drei Kindern vor allem in Berlin und Langenargen am Bodensee. In den 1930er Jahren bezogen Hans und Mathilde Purrmann ganz klar Position gegen den Nationalsozialismus. In ihrem Freundes- und Bekanntenkreis befanden sich zahlreiche Persönlichkeiten jüdischer Abstammung. 1935 zählten sie zu den wenigen Künstlerinnen und Künstlern, die den Mut hatten, die von der Gestapo überwachte Beerdigung von Max Liebermann zu besuchen. Als „entartet“ verfemt emigrierten Hans und Mathilde Purrmann 1935 nach Florenz, wo er die Leitung der Villa Romana übernahm. Nach dem Tod seiner Frau lebte der Maler 1943 bis 1966 in der Schweiz, in Montagnola am Luganer See. Ihre Briefe und Fotografien sind wertvolle, authentische Quellen, die Zeugnis davon ablegen, dass das Künstlerpaar in den von historischen Umbrüchen und Kriegen geprägten Zeiten nicht nur für einander und für seine Familie, sondern auch für seine Freundinnen und Freunde bedingungslos einstand.

Parallel zur Ausstellung ist vom Museum Purrmann-Haus ein Fotowettbewerb in’s Leben gerufen worden – mit viel Resonanz und großem Erfolg. Welche Schlüsse lassen sich daraus für die (Amateur-)Fotografie der Gegenwart ziehen?

Die Magie der Fotografie liegt in ihrer einzigartigen Fähigkeit, flüchtige Momente für die Ewigkeit festzuhalten. Mit einem einzigen Klick wird das Vergängliche unsterblich, das Unsichtbare sichtbar und das Alltägliche außergewöhnlich. Bis heute ist die Faszination an dem Medium der Fotografie ungebrochen. Zahlreiche Einsendungen wunderbarer Reisefotografien haben uns erreicht. Sie berichten von Kuriositäten, Landschaften, Sehenswürdigkeiten, Stimmungen und Menschen ferner Länder. All diese Fotografien sind kunstvolle Zeugnisse der individuellen Sichtweise der Fotografinnen und Fotografen auf die Welt. Die große Resonanz auf den Wettbewerb und die hohe Qualität der eingereichten Bilder belegt einmal mehr, dass die Fotografie bis heute ein zentrales Element der visuellen Kommunikation und der Dokumentation unserer Gesellschaft ist. 

 

Vielen Dank, Frau Leitmeyer, für dieses Gespräch!

 

Fragen: Dr. Katrin Bomhoff, ullstein bild collection

Erstveröffentlichung am 28. April 2025

In der Galerie sehen Sie eine Auswahl der Originalfotografien aus der ullstein bild collection und Ausstellungsansichten mit den Ullstein-Exponaten (© Museum Purrmann-Haus in Speyer).

Das entsprechende Dossier finden Sie bei ullstein bild.

Kontakt

Dr. Katrin
Bomhoff
Senior Manager Asset & Exhibition
+49 30 2591 73164
(c) privat
Maria
Leitmeyer
Museumsleiterin Purrmann-Haus Speyer